Chronik des Ortsverbandes Gelsenkirchen 1962-1971
1962 bis 1971
Die 60er – Gelsenkirchener Funkamateure machen ‚mobil’ und Frauen erobern das Mikrofon
Mobilfunkwagen erobern die Straßen ...
Neben der ‚politischen Arbeit’ betreiben die Funkamateure vor allen Dingen den mobilen Funksport. Es wird mit viel Begeisterung an mobilen Antennen gearbeitet. Welches Prinzip ist überlegen? Eine Wendelantennen-Konstruktion nach dem Vorbild von US-Polizeifahrzeug-antennen oder etwa eine Antenne mit großer Spule (‚Topf’)? Um dies herauszufinden, arbeiten hauptsächlich die OM Weidemann, DL9AH, und OM Werner, DJ4KQ, mit sportivem Ehrgeiz an der Sache. Eine beliebte Übung in der Zeit ist es, für Vergleichstests einen bestimmten Autobahnrastplatz der A2 in der Nähe des Kreuzes Recklinghausen aufzusuchen. Damit zum Beispiel Standorteinflüsse berücksichtigt werden können, müssen während der Funkkontakte die Standplätze rasch getauscht werden. Das führt zu einer ziemlichen Kurverei auf den Parkplätzen.
Mit den PKW lassen sich hervorragend Wettbewerbe durchführen, hier anhand eines Zeitungsartikels exemplarisch beschrieben. Diese Art des Funksports begleitet den Ortsverband intensiv das ganze Jahrzehnt über.
„Im Stadtbild waren die großen Antennen auf Fahrzeugen immer auch ein Hinweis auf Wettbewerbe – vor allen Dingen wenn sie in Marktnähe und in größerer Anzahl gesehen wurden."
1963 war wieder einer der großen Wettbewerbe in der Stadt. Die Ruhrnachrichten berichteten:
„Um den Apparat (der Leitstelle; d.Verf.) herum drängten sich Radiofans aus Osnabrück, Bielefeld, Düsseldorf, Koblenz, Mülheim, Renzheim und aus der näheren und weiteren Umgebung Gelsenkirchens. 42 Fahrzeuge beteiligten sich gestern an dem vom DARC, Ortsverband Gelsenkirchen, veranstalteten Funkwagenwettbewerb. Aus einer Tüte zogen die Teilnehmer Losnummern, die mit Zahlen auf brauen Umschlägen identisch waren. In diesen Umschlägen befanden sich die Wettbewerbsbedingungen, darunter eine Straßenkarte mit eingezeichnetem Standort, genau 20 km von der Leitstelle entfernt. Innerhalb einer Stunde hatte jeder Teilnehmer seinen Standort zu erreichen (...). Gewonnen hatte, wer eine Verständigung über die meisten Funk-Kilometer hinweg erzielen konnte.“
Die guten Kontakte zur Stadtverwaltung bewähren sich besonders hier. Ein von der Stadt und der westfälischen Rundschau gestifteter Wanderpokal führt zu entsprechender Aufmerksamkeit nicht nur bei den offiziellen Preisverleihungen sondern ebenfalls in der überregionalen Bedeutung dieser Aktionen. Der ‚Mobil-80m Pokal’ wechselt in den sieben Jahren der Wanderschaft von 1961 bis 1967 insgesamt viermal den Besitzer. Für Gelsenkirchen ergattert OM Walter Schossier, DJ7TU, 1962 die Trophäe; in den Jahren 1963, 1964 und 1966 bleibt er zumindest in der Nähe: in Wattenscheid bei OM Norbert Bressmann, DJ4KR.
Der Club macht Theater
Dies gilt nur im übertragenen Sinne. Der OV hat nicht nur gute Beziehungen zur Stadt und zur Presse, sondern auch zu den städtischen Bühnen. Einige Amateure kommen aus den Reihen des Musiktheaters und sorgen nicht nur dort für einen guten Ton. OM Helmut Kissel, DL8OJ, damals 1. Spielleiter bei den städtischen Bühnen und seit vielen Jahren passionierter Funker, zählt sicherlich zu den prominentesten drahtloser Kommunikation in Gelsenkirchen. Berühmt wird er als Regisseur und Drehbuchautor zahlreicher TV-Produktionen wie ‚Heidi’ (Drehbuch 1977); ‚Blut und Ehre - Jugend unter Hitler’ (Drehbuch 1980); ‚Der Granitkopp’ (Regie 1984); ‚Goldkronach’ (Regie 1986) und ‚Die Sterne schwindeln nicht’ (Regie 1986). Darüber hinaus ist OM Kissel oft zu lustigen Eskapaden aufgelegt. ‚Das kleine Gelsenkirchener Tagebuch’ der WAZ weiß davon 1967 zu berichten. Die Glosse mit dem Titel „Ein Fuchs funkte vergebens“ spricht für sich:
Zu erwähnen ist ebenfalls OM Otto Brüdgam, DL2FJ, technischer Direktor des Musiktheaters, dessen Lizenzprüfung vor allen Dingen eine pressewirksame Inszenierung findet. Sein gutes Ohr machte Dieter Riess, DJ6VI, nicht nur zum Mitglied des Telegrafie High Speed Clubs (HSC), sondern auch zum engagierten Tontechniker bei den städtischen Bühnen. Mit dem Theater zu tun haben außerdem die OM Manfred Buschmann, DJ3SG; Helmut Meckenstock, DJ4KN; Gerd Naschinski, DJ6VX und Manfred Weiler, DL2JW. Zur ‚Theater-Ära’ zählt ebenfalls, indirekt, die erste Clubstation des OV mit eigenen Räumlichkeiten. Sie wird im ehemaligen Zeughaus der städtischen Bühnen (intern ‚Hochhaus’ genannt) an der Dickampstraße eingerichtet, etwa dort, wo heute die Hauptpost zu finden ist. OM Brüdgam verantwortet zusammen mit dem Werkstattleiter Hoffmann die ‚Innenarchitektur’ des neuen Clubheims. Bis zum Abriss durch den Stadtbahnbau 1972 ist dies sieben Jahre lang die erste Adresse der Gelsenkirchener Funkamateure mit ihrem Clubrufzeichen DLØGK. OM Wagner einst zur Presse:
„Sie sehen, dass wir besten Kontakt zur Bühne haben.“
Offiziell ist die Clubstation eine ‚Leitstelle’ bei der Koordination mobiler Amateurfunkstellen im Zivilschutz. Dazu gibt es in den 60ern eine regelrechte Kooperation zwischen der Stadt und dem Ortsverband. Wagner zur Presse:
„Ein Programm für unseren Einsatz im Fall X, von dem wir hoffentlich verschont bleiben, ist schon ausgearbeitet (...) Unsere Mitglieder werden Lotsenstellen besetzen und einen Fernmeldereservezug stellen. Wir sind der Stadt dankbar, dass sie uns einen eigenen Raum zur Verfügung gestellt hat, aber wir wollen ja auch Freiwillige an Funkgeräten ausbilden.“
Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, finanziert die Stadt später übrigens die technische Ausstattung der Leitstelle: Eine Drake-Line aus US-Produktion, damals ‚High-Tech’ im Amateurfunk, wird angeschafft! Bei der Einweihung der Clubräume ist viel Prominenz anwesend. Mit von der Partie ist der damalige Leiter des Zivilschutzamtes, Amtmann Kay. Er bestätigt die gute Zusammenarbeit.
„Zehn private Funkwagen werden uns im Ernstfall zur Verfügung gestellt.“
So ist der Bezug der Clubräume als Ergebnis hervorragender PR-Arbeit zu werten. Nicht verschwiegen werden sollen die Kritiker der quasioffiziellen Einbindung in den Zivilschutz. Eher unter der Decke bleibt die Überlegung, ob dies nicht dem privaten Charakter des Amateurfunks zuwiderliefe, da formelle Einbindung mit einem Hobby nicht zu vereinbaren wäre. De facto kommt es nie zu „Einberufung“ der OMs zu Übungen oder etwa einem ernsten Einsatz.
Ungeachtet dessen hat sich der OV in den 60ern immer wieder als wichtige Instanz in Katastrophen und Notfällen bewährt und das gut gegenüber der Öffentlichkeit verkauft. Das bemerken sehr viel später die Redakteure der NRZ. In einer Reihe unter dem originellen Motto „Redaktionsarchiv: Amateurfunker – drahtlos auf Draht“ fassen sie Presseberichte der 60er treffend zusammen, wonach sich Meldungen über Hilfsaktionen mit ziemlicher Regelmäßigkeit in ihren Unterlagen befänden . Hier einige Beispiele: 1963 berichtet die Lokalpresse über eine Rettungsaktion für einen spanischen Bluter durch OM Wagner, DJ1WO. In einem Zei-tungsartikel über eine der Jahreshauptversammlungen lesen wir einen typischen Abschnitt:
„(...) Die Funkamateure halfen als Nachrichtenübermittler mit, die Hochwasserkatastrophen in Hamburg und im Sauerland zu bekämpfen. Sie werden auch in künftigen Katastrophenfällen sofort zur Stelle sein, um die größte Not zu lindern. (...)“
Im Jahre 1967 ereignet sich die erste große Nahostkrise. Der Sechs-Tage-Krieg ist ausgebrochen.
„Funkamateure versuchten in den letzten Tagen der Nahost-Krise, Kontakt mit Funkamateuren in Israel zu bekommen.“
Wir erfahren leider nichts über die Probleme in der Nähe Haifas, denn die Regeln des Amateurfunks „untersagen politische Korrespondenz“ und „nur schweren Herzens fügte sich der Gelsenkirchener den Bestimmungen, denen die Funkamateure in aller Welt unterliegen“.
Die Ereignisse im ‚Prager Frühling’ 1968 und ihre dramatische Entwicklung im weiteren Jahresverlauf prägen ebenfalls Themen in der Presse. Mit dem Einmarsch der sowjetischen Truppen in die ČSSR endet der Versuch Dubčeks, die tschechoslowakische Gesellschaft zu liberalisieren. Unter der Schlagzeile „Hört Westsender ab! – 83 Funker auf Draht“ heißt es dazu:
„Freunde aus der DDR, informiert euch besser, hört Westsender ab!“ Diesen Appell eines tschechoslowakischen Amateurfunkers fing am Wochenende der Vorsitzende des Amateur Radio Clubs, Ortsverband Gelsenkirchen, auf. Dazwischen hörte man „Dubcek Svoboda“- Rufe, „Wir protestieren gegen die Invasion“. - Wie Heinz Wagner informieren sich seit Tagen 82 Amateurfunker aus unserer Stadt über die Vorkommnisse in der Tschechoslowakei. Doch die Kontaktaufnahme wird immer schwieriger.
Mit Kind und Kegel ins Blaue
Prägend schon für die 50er, aber noch intensiver für die 60er Jahre, ist der Amateurfunk mit Familienanschluss. Die mittlerweile auf über 130 Mitglieder angewachsene Funkergruppe unternimmt Ausflüge ins Grüne und organisiert Feste. Natürlich mit Kind und Kegel. Das schlecht in andere Sprachen zu übersetzende gesellige Element der ‚Fielddays’ wird überaus groß geschrieben.
So stellen diese alljährlich durchgeführten Veranstaltungen nicht nur einen sportlichen Anreiz dar. Mehr noch: Hier treffen sich Familie, Freunde und Bekannte.
Zu letzterem zählen besonders die legendären Sommercamps des DARC in Bad Zwischenahn (ab 1959). Mehrere Jahre hintereinander verbringen hier Funk-Familien aus Gelsenkirchen ihre Urlaube. Gerne werden noch heute die Geschichten erzählt, als zum Beispiel OM Meckenstock, DJ4KN und DJ1GM mit dem grünen ‚Roller’ von OM Becker in das gerade eingerichtete Ammerländer Quartier aufbrechen. Zur Gewohnheit wurde auch, nach Urlauben in Nordeuropa einen Abstecher nach Bad Zwischenahn zu unternehmen. Werbend preist ein bundesweites OV-Rundschreiben das Gelände an:
„Einer der schönsten Plätze im Ammerland gehört 1961 und vielleicht auch in weiterer Zukunft dem DARC (...) Lassen Sie sich von den OMs, die das Lager im vergangenen Sommer besucht haben, etwas über Bad Zwischenahn erzählen. Sie werden Ihnen begeistert berichten über die Paddel- und Segelpartien, über Anton, den Lagerschwan, über die Igel-familie, über das große Schaschlik-Essen am Lagerfeuer, über die "Spinatbucht" und über Mutti Fiedler, der freundlichen Gastwirtsfrau, bei der der selbstgebackene Käsekuchen wie bei Muttern schmeckt.
Der Erfolg des vergangenen Jahres hat neue Pläne reifen lassen. Eine Trinkwasserleitung bis auf den Zeltplatz und ein fester Drehstromanschluß sind in Arbeit. Die neue Auffahrt zum Lager wird bestimmt von den Mobilisten begrüßt werden. Das große Stationszelt wird durch ein zweites "Palaverzelt" ergänzt. Den Sportlern steht eine große Wiese zur Verfügung. Wer nur funken will, soll aber auch nicht zu kurz kommen. Eine Lagerstation wird auf mehreren Bändern zugleich QRV sein und den OMs Beschäftigung bieten. Auch in Wettkämpfen kann man seine Kräfte (..) messen. (...) Es lohnt sich also für jeden mitzumachen. Wagen Sie es ruhig, denn Bad Zwischenahn liegt nicht am Ende der Welt, sondern an der Bundesstraße 75, die von Bremen über Oldenburg durch Bad Zwischenahn nach Leer führt. Auch mit der Bundesbahn ist es zu erreichen. Fast alle Eil- und D-Züge halten dort.
Lustig geht es beim Fieldday in Hülsten zu. Dank himmlisch guter Beziehungen zum Pfarrer und OM Heinz Wullen, DJ2FX , kann ein Grundstück in der Nähe Wulfens genutzt werden. Übrigens verschafft sich der funkende Geistliche in den Funkrunden ordentlich Gehör mit einer von DJ6VI eigens für ihn gebauten Leistungsendstufe. Die Antenne am Kirchturm ist ungewöhnlich; für die Gemeinde möglicherweise ebenso unverständlich wie die Wege des Herrn und deshalb wohl zu dulden ...
Auf dem Campinggrund verbringen DL8OJ und DJ4KM insgesamt eine Woche; ihre Essensvorräte deponieren sie in einem Erdloch; dennoch überleben einige Würste nicht. Als Konsequenz markieren diese Würste die Enden einer Dipolantenne. Besucher werden darauf hingewiesen mit einem vielsagenden Schild: ‚Lambda von Wurst zu Wurst’. ... (DJ6VI). Für Nichtfunker: ‚Lambda’ bezeichnet hier die einer Wellenlänge entsprechende Meterzahl an Antennendraht. Das Gelände selbst weist obendrein ungeahnte Tücken auf. Die Bundeswehr nutzt es für Schießübungen! So geschieht es plötzlich, dass hinter einem Flieger eine Attrappe hergezogen wird, die vom Boden aus gezielt unter Feuer gerät. Wenn man sich direkt darunter befindet, klingt es nur rückblickend und für Außenstehende spannend ...
Ausflüge gibt es viele mehr. Im Mai 1969 zum Beispiel wird auf Anregung von OM Joachim Derksen, DJ7TX, das Wetteramt Essen besucht.
2 - Meter Geräte nach DL6SW und andere HF-Experimente
Eines der Bauprojekte in dieser Zeit betrifft Funksprechgeräte, die der Saarländer OM von Schimmelmann, DL6SW, zu Beginn des Jahrzehnts für 145 MHz konstruiert. ‚145 MHz’ steht für Ultra Kurze Wellen (UKW) und damit für höhere technische Anforderungen als gewohnt. DL6SW hat ursprünglich nur ein ‚Walkie-Talkie’ für Antennenmessungen und ähnliches im Sinn, denn frequenzbedingt lässt sich alles mit geringeren Abmessungen bauen. Die Eigenschaften sind jedoch so überragend, dass daraus mehr wird und die Gelsenkirchener sich begeistert an den Nachbau machen. Unter anderem entwickelt OM Walter Rätz, DL6KA, hierfür Platinen im Siebdruckverfahren. In den 2-Meter-Aktivitäten, damals noch eine Besonderheit, liegen die Vorläufer für die späteren Aktivitäten rund um das Amateurfunkfernsehen (ATV). Aus der zweiten Hälfte des Jahrzehnts stammen die Auszüge aus dem folgenden Pressebericht. Unter dem Titel „Gelsenkirchener Fernsehen nur für den Klubgebrauch“ heißt es unter anderem:
„In Kürze wird es in Gelsenkirchen auch ‚Amateur-Fernsehen’ geben (...) Das ‚Programm’ würde sich nur auf klubinterne Dinge beschränken. Austausch mit anderen Amateuren ist bereits möglich. In Essen und Brambauer gibt es Amateur-Fernsehstationen. Sie können – da sie auf geringe Reichweite beschränkt sind – mit relativ einfachen Mitteln erstellt werden. (...) In Gelsenkirchen sind für das Fernsehen (UKW-Bereich) gute Voraussetzungen gegeben: Im UKW-Funkverkehr hat der Ortsverband schon Vorarbeit geleistet.“
„Damen-Sextett sitzt gern am Funkgerät“
Die 60er Jahre stehen für eine zunehmende Emanzipation der Frau. Ausgerechnet in der Männerdomäne der Funkamateure macht hier der Gelsenkirchener OV wieder Schlagzeilen. Mit Margot Werner haben bis Juli 1969 sechs Frauen die Prüfung abgelegt (und damit die meisten anderen Ortsverbände abgehängt) und zeigen den Amateurfunk von seiner ‚attraktivsten’ Seite. Die Berichterstattung ist aber nach wie vor klischeebehaftet, unterstellt sie als Motiv eine Gefälligkeit gegenüber den funkenden Partnern ( „...um Ehekrisen zu vermeiden ...“) und zeichnet ein Bild von drahtlosen Kaffeekränzchen auf dem 80-Meter-Band („Hausfrau Ilse ist diplomierte Nachteulen-Funkerin“). Wie dem auch sei, die Unterhaltung über Alltägliches ist wahrlich kein Vorrecht der femininen Funkamateure, sondern ein Bestandteil des Teil des Amateurfunks, der die menschliche Seite mit einbezieht.
Ein Auszug aus einem Funk-Rundspruch des OV Gelsenkirchen aus dem März 1969 verdeutlicht die unkonventionelle Vorgehensweise der Frauenriege. Man achte auf die Flexibilität der QRV-Zeiten:
„Betrifft XYL-Tätigkeit unter dem Rufzeichen DL0GK. In einer Aussprache miteinander ist man übereingekommen, dass in der ersten Woche eines jeden Monats, das heißt vom ersten bis zum fünften eines jeden Monats, auch wenn der erste nicht auf den Montag fällt, die XYLs vom Ortsverband Gelsenkirchen zu unterschiedlichen Tageszeiten, das heißt mal vormittags mal nachmittags unter dem Rufzeichen DL0GK abwechselnd QRV sind. Um die private Freiheit nicht zu beeinflussen, sind keine genauen Stunden festgelegt worden, weil man nicht weiß, wann welche XYL wann QRV ist, soll diese Vereinbarung zur Bandbelebung beitragen. Auch sollen diejenigen, die den Kontest entsetzlich finden, aus ihrem Versteck hervorgelockt werden und auf dem Band zu hören sein. Im Zusammenhang mit dieser Meldung möchte ich noch mal daraufhinweisen, dass die XYL-Runde am Montagmorgen nach wie vor um etwa 10.00 Uhr läuft. An jedem zweiten und vierten Freitag im Monat wollen sich die XYLs der Ortsverbandes wieder recht zahlreich zum gemütlichen Zusammensein in der Gabelsberger Straße treffen ...“.
Am Mikrofon des Rundspruchs befand übrigens der damalige OVV OM Horst Werner, DJ4KQ. Die weiblichen Anteile des Amateurfunks in Gelsenkirchen werden mehrfach ‚offiziell’: 1968 übernimmt XYL Henneberger, DL2FH, kommissarisch den Vorsitz; 1972 tritt XYL Senkel, DK2KD, für zwei Jahre an die Spitze des Clubs. Dieser Aufbruch der Damen ist bis heute, um modern zu sprechen, nicht mehr ‚getoppt’ worden. Im Artikel nicht erwähnt: Hedi, DJ9LB. Im Jahre 2005 befinden sich sechs Frauen im OV, drei davon sind lizenziert .
Kumpel prägen die Mitgliedschaft
Die Beschäftigung mit Presseberichten über den OV mag den Eindruck erzeugen, Gelsenkirchen sei in den 60ern eine Stadt des Theaters. So überragend der kulturelle Einfluss des Musiktheaters in der Stadt auch war: Die größte Gruppe innerhalb des Ortsverbandes stellen die Bergleute dar. Das schwarze Gold als Lebenselixier der Region spiegelt sich im beruflichen Hintergrund vieler OM und ihrer Familien. Dies ist bis in die 70er Jahre der Fall. Die Gelsenkirchener Bergbau AG scheint sogar eigens einen Bericht für ‚ihre’ Funker verfasst zu haben. Leider liegen bis dato nur Fragmente mit einigen Namen vor: OM Friedrich Kulik, DJ7TY, ist dort ebenso erwähnt wie OM Helmut Bahr, DK4QB und OM Franz Winter, DB4QW.
Das Mechtenberg-Syndrom
Von Bergen geht sicherlich eine gewisse Magie aus. Dass ausgerechnet Gelsenkirchen einen ‚westfälischen Bergtag’ (1967 mit 196 Teilnehmern) auslobt, hat schon einen gewissen humorigen Aspekt. Immerhin weist der Mechtenberg eine Gipfelhöhe von 99m (!) auf (vor den Bergsenkungen) - und ist damit die höchste natürliche Erhebung der Region. Dennoch ist den Initiatoren die freundschaftliche Häme süddeutscher Amateure sicher ... Der wahre Austragungsort sind übrigens die sauerländischen Höhenzüge. („Hügeltage“).
Der Amateurfunk stiftet Freundschaften über Grenzen hinweg
In mehreren privaten Fotosammlungen Gelsenkirchener OM tauchen Fotos mit OM ‚Jan’, PAØACL auf. Nun, wer ist das? Wieso besucht der niederländischer OM Jan van Westen zum Beispiel die Jahreshauptversammlung von 1966. Auf den Internetseiten der Conveniat-Runde, einer ökomenischen Gemeinschaft von Funkamateuren im kirchlichen Dienst, steht einiges über den engagierten Funkamateur:
„Unter dieser Bezeichnung (PAØACL, d. Verf.) war der Lehrer und Organist bei uns seit den Gründerzeiten bekannt. Fast jeder der Oldtimer der fünfziger Jahre im 80 m Band kannte und schätzte Jan, er war täglich in der Luft, der Vater unseres Jesuiten Niko PAØACM.
Am 30. August 1901 geboren, gab er sein Leben am 27. Februar 1983 seinem Schöpfer zurück: Generationen von Schülern hatte er sein Wissen und seine Religiosität übertragen. Im Jahre 1922 wurde Johannes Nicolaas van Westen zum Lehrer an der Katholischen Knabenschule zu Doesburg (Niederlande) ernannt. In diesem Amt blieb er bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1966 tätig.
Sein wichtigstes Hobby war der Amateurfunk. Obwohl im Grunde genommen ein technisches Hobby, betrieb er es vor allen Dingen als Mittel, anderen Menschen zu begegnen und Freundschaften zu pflegen. Aus kurzen Reisebegegnungen entwickelten sich oft Freundschaften fürs Leben.“
OM Helmut Meckenstock, DJ4KN, kennt den Hintergrund: „Der Kontakt zu Jan kam durch innigen Funkkontakt auf 80 Meter zustande. Damals gab es nicht viele Funkamateure. Jeder kannte jeden, und so besuchte man sich gegenseitig.“ Besonders engen Kontakt zu Jan hatten die Vierlings: YL Hannelore, DJ7TT und OM Gerhard, DJ6VG. Ein schönes Beispiel dafür, wie der Amateurfunk auch im übertragenen Sinne ‚Verbindungen’ ermöglicht. Im übrigen wurden bei OV Kontakten die ‚Grenzen’ auch schon mal anderweitig überschritten: bei YL Ulla, DJ6JY kam so noch ein ‚X’ davor. XYL steht im Amateurfunk-Jargon für Ehefrau – und diesem Falle die von DJ4KN. Und wir dachten immer, ‚Äther’ betäubt die Sinne ...
Es lockt die Ferne
1963 erreicht die zweite große Auswanderungswelle Gelsenkirchen. OM Herbert Gorka, DJ2YM, folgt seinem Sohn in die USA, wo er bis heute geblieben ist (KA7ODO). Andere Gelsenkirchener, die ihm folgen, sind allesamt wieder zurückgekehrt. Dazu zählen OM Schirrmacher DJ3QV und OM und XYL Faltermann DJ2SE/DJ9LD.
In gewissem Sinne auf Wanderschaft geht auch OM Helmut Gralka, DJ4KM. Auf Fracht- und Passagierschiffen bereist er ab 1961 bis 1969 als Funkoffizier alle Meere und Kontinente und hält dabei stets Funkkontakt mit den Gelsenkirchener Funkfreunden. Das ist nicht einfach, weil es ihm von deutscher Seite offiziell verboten ist, eine Amateurfunkstelle an Bord zu betreiben. Zu der Zeit funktioniert die behördliche ‚Abhörkontrolle’ sehr gut und man ist deshalb vorsichtig. Doch auch dafür gibt es Lösungen. Von berufswegen kennt OM Gralka den sogenannten ‚Einseitigen Dienst’. Dieser findet immer dann statt, wenn sein Schiff einen auswärtigen Hafen ansteuert, in welchem er die Schiffsfunkstelle nicht betreiben darf. Das hat rechtliche Gründe und ist so üblich. Vor dem Einlaufen wird die Heimatküstenfunkstelle davon unterrichtet und sendet fortan zu bestimmten Zeiten beispielsweise Telegramme ‚blind’ – also ohne Bestätigung des Eingangs – an das Schiff. Erst nach dem Auslaufen wird dies nachgeholt. OM Meckenstock, DJ4KN, übernimmt nun die Rolle der Küstenfunkstelle seines Heimathafens Gelsenkirchen. Er kennt die Fahrtrouten seines Freundes und richtet die Antenne auf den jeweiligen Kontinent aus. Nun kann auf der vereinbarten Frequenz und Zeit die ‚Blindsendung’ mit Neuigkeiten aus dem OV für OM Gralka beginnen, die er dann gelegentlich auf einer Schiffsfrequenz kurz bestätigt. DJ4KM:
„Inzwischen habe ich das Tondokument gefunden, von dem wir gesprochen haben: Blindsendung von DJ4KN, gerichtet an mich, an Bord des Passagierschiffs "Ryndam" (Kennzeichen DEIJ), vor der Küste Brasiliens (Bahia). Frequenz im 15-m-Band, Zeitpunkt kann ich anhand der noch vorliegenden Fahrpläne noch präzisieren, war Ende 1967 oder Anfang 1968.“
Selbst auf dem Schiff ist Zeit, das eine oder andere zu basteln. In Eierkartons verpackt wird ein Heathkit HX20 zusammengebaut und in Betrieb genommen. Zumindest in Verwendung mit seinem US-Rufzeichen ist die Sache dann legal. Findige Menschen, diese Funkamateure.
Wo Licht ist, ist auch Schatten ...
Ende der 60er entwickelt sich ein handfester Konflikt rund um die Gelsenkirchener Ortsfrequenz. Der Streit mit juristischen Folgen entzündet sich an der Doppelbelegung der damaligen Lokal-QRG des Clubs zusammen mit Nutzern einer neu errichteten Relais-Station. Die sogenannte Eingabefrequenz für den UKW-Umsetzer sorgt damit also für gegenseitige Störungen. Die Wogen schlagen im Ortsverband hoch, was Anfang der 70er zu zahlreichen Austritten führt.
Es darf gefeiert werden
Im April 1971 sorgen die Radiomateure in den Zooterassen einmal anders für ‘sprühende Funken’: Es ist Zeit, das 20jährige Bestehen angemessen zu feiern. Der Überlieferung zufolge wird wild getanzt, heiß gewettet (Tombola!) und laut gelacht. Die Bilder sprechen für sich. Das ‚Hamfest’ in den Zooterrassen ist der krönende Abschluss einer ganzen Veranstaltungswoche, die nur durch den Vandalismus der Clubräume an der Dickampstraße getrübt wird (laut Pressebericht hatten angeblich Jugendliche die Clubräume noch vor Beginn der Festwoche zerstört. Merkwürdiger Zufall, wo doch für den Juli die Abrissbirne der Stadtbahn angekündigt wurde – denn als erstes „fällt der Bau, indem zuletzt die Amateurfunker untergebracht waren, der Spitzhacke zum Opfer.“ ) Zuvor erleben Besucher im Erdgeschoss des Kaufhof in der Bahnhofstraße schon die Eröffnung einer Ausstellung in den Verkaufsräumen, begleitet durch viel Prominenz. Zum Festprogramm gehört auch eine Führung durch das Musiktheater unter Leitung von OM Brüdgam, DL2FJ. Bemerkenswert – weil bisher einmalig im Clubleben – eine eigene Festschrift zum Jubiläum: „1951/1971. 20 Jahre Amateurfunk in Gelsenkirchen“. Die dort abgedruckten Grußworte gehen natürlich runter wie Honig. Karl Schultheiß, DL1QK, damals Präsident des DARC:
„Die Geschichte des OV Gelsenkirchen beweist, dass Einsatzbereitschaft für eine gemeinsame Idee und Hilfsbereitschaft untereinander die Grundpfeiler sind, auf denen sich ein erfolgreiches OV-Leben entwickelt. Innerhalb unserer großen DARC-Familie hat sich der OV Gelsenkirchen eine guten Namen geschaffen.“
OM Peter Cunego, DJØJE, zu diesem Zeitpunkt erster Mann des Clubs, betont im Vorwort die Programmatik des Amateurfunks vor Ort, denn
„unsere wohl vornehmste Aufgabe sehen wir immer darin, uns mit Menschen gleich welcher Nationalität oder Hautfarbe, zu verständigen und uns näher kennenzulernen. Deswegen sind wir bemüht, unseren Club (...) weiter zu vergrößern. Besseres auf dem Gebiet der Jugendarbeit möchten wir noch schaffen. All das erfordert von den Mitgliedern größte Bereitschaft zur Mitarbeit, um uns auch in Zukunft zu behaupten.“
Oberbürgermeister Löbbert stimmt in diesen Chor ein und kann sich deshalb
„kaum eine schönere Freizeitgestaltung vorstellen, als über Grenzen hinweg mit allen Menschen in aller Welt Kontakte aufzunehmen.“
Mit dem Appell in Richtung Jugendarbeit war OM Cunego seiner Zeit weit voraus. Heute zählen bereits die knapp 40jährigen zu den Youngstern ...
Das zweite Jahrzehnt in chronologischer Übersicht
Februar 1962 | OM Horst Werner, DJ4KQ und OM Arno Weidemann, DL9AH entwickeln die Gelsenkirchener Mobilantenne |
Juli 1963 | Großer Funkwagenwettbewerb auf dem Hauptmarkt |
Oktober 1963 | Rettungsaktion für spanischen Bluter über OM Heinz Wagner, DJ1WO |
Sommer 1964 | Zeltlager Bad Zwischenahn |
4. Oktober 1964 | OM Arno Weidemann, DL9AH, und OM Horst Werner, DJ4KQ, erhalten die goldene Ehrennadel des DARC |
Sommer 1965 | Fieldday in Groß-Reken. OV in Zahlen: 131 Mitglieder (größter in der OPD Münster, 89 Lizenzen, 8 Frauen, 1964/65: 7093 QSL-Karten werden versendet |
1966 | OM Vierling, DJ6VG OVV |
19. April 1966 | Clubhaus Dickkampstraße 4, Ehem. Zeughaus städtische Bühnen. Einzug 15. Mai 1966 |
November 1966 | Wattenscheid gründet eigenen Club |
1967 | OM Heinz Wagner, DJ1WO, OVV |
1967 | Westfälischer Bergtag (auch „Hügeltag“ genannt), ausgerichtet vom OV Gelsenkirchen |
November 1968 | XYL Elfriede Henneberger kommissarisch OVV |
Dezember 1968 | OM Horst Werner, DJ4KQ, neuer OVV |
Juli 1969 | Sechs Funkfrauen im Club |
1969 | OV Rundsprüche (DJ4KQ) über Kurzwelle mit regionaler Bedeutung |
Dezember 1970 | Rettungsaktion für Operation in Rumänien über OM Arno Weidemann, DL9AH |
1971 bis ca. 1975 | Umbau und Erweiterung von kommerziellen Funkgeräten (Bosch KFT160) |
Januar 1971 | OM Peter Cunego, DJØJE, OVV |
19.-24. April 1971 | - Ausstellung im Kaufhof (20jähriges Bestehen) - Erscheinen der Festschrift: „1951/1971: 20 Jahre Amateurfunk in Gelsenkirchen |
März 1971 | Verwüstung der Funkleitstelle Dickkampstraße |
24. April 1971 | - Festveranstaltung Zooterrassen (20jähriges Bestehen), - OM Herbert Grabowski, DJ8TE, erhält die goldene Ehrennadel des DARC |
Juli 1971 | Abriss Clubhaus Dickkampstraße |
September 1971 | XYL Ilse Senkel, DK2KD, OVV |